Salvatore Giacomuzzi: Zurechnungsfähigkeit und Kaufsucht

Last Updated: Donnerstag, 19.08.2021By Tags:

In gerichtlichen Gutachten wird mitunter von den Parteien angeführt, dass Kaufsucht möglicherweise auch ein hinreichender Grund wäre, um die Zurechnungsfähigkeit während der Tathandlung auszuschließen.

Das Phänomen der Kaufsucht ist nicht neu. Bereits psychiatrische Werke des letzten Jahrhunderts beschäftigten sich, in ausgiebiger Art und Weise, mit diesem Feld. So beschrieben Emil Kraeplin und Eugen Bleuler, jeder auf seine Art, diese Verhaltensweise als „krankhafte Verhalten, welches dazu veranlasst ohne Bedürfnis große Mengen einzukaufen“ oder der Kaufsucht innewohnend „das Besondere, das Triebhafte, das Nicht-anders-Können“. Es ist anzumerken, dass auch heute noch keine Einigkeit darin besteht, wie denn eine Kaufsucht, vor dem Hintergrund der diagnostisch anerkannten Systeme, einzuordnen sei.

Nach der ICD-10 (F63.9) wird pathologisches Kaufen als „nicht näher bezeichnete abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle“ diagnostiziert. Diese Einordnung setzt voraus, dass Impulskontrollstörungen als eigenständige Störungsgruppe anerkannt und nicht als Variationen oder Subgruppen anderer Erkrankungen angesehen werden. Die diagnostischen Kriterien etwa von McElroy et al. (1994) rechnen pathologisches Kaufen einer Restkategorie, der nicht näher bezeichneten Störungen der Impulskontrolle, zu.

Pathologisches Kaufen wird auch dem Spektrum der Zwangserkrankungen zugeordnet. Dafür spricht, dass Betroffene einen unwiderstehlichen Drang zum Kaufen verspüren, gleichzeitig aber einen Kontrollverlust erleben, da der Impuls stärker wäre als ein eigener Wille. Pathologisches Kaufen scheint zudem der Affektsteuerung zu dienen. Negative Emotionen provozieren ein extremes Kaufverhalten, welches kurzfristig eine Verbesserung der Gefühlslage herbeiführen könnte.

In manchen Fällen wird ebenso eine manisch depressive Erkrankung, welche in den diagnostischen Manual durchaus in den beschleunigten Phasen des Handelns mit Kaufen oder Promiskuität beschrieben wird.

Insgesamt ist jedoch zu berücksichtigen, dass etwa einer fortgesetzten Kaufverhandlung eine entsprechende Planung vorausgeht. In dieser Phase sind sich die betroffenen Personen, in aller Regel, durchaus bewusst, welche Handlungen sie setzen. Es ist dabei darauf zu achten, ob die Handlungen jeweils vor einem spontanen Hintergrund oder doch aufgrund der kurzfristigen Reduktion von negativen Emotionen basieren. Gerade in diesen Fällen ist die Dynamik des Handelns, mitunter über einen längeren Zeitraum, zu beurteilen wie auch zu beschreiben, um relevante Aussagen zur Zurechnungsfähigkeit treffen zu können.

Salvatore Giacomuzzi: Wien